Finanzielle Due Diligence – Bilanzen lesen, bevor es teuer wird

1. Bilanzkennzahlen verstehen: EBIT, EBITDA, Cashflow, Working Capital & SDE
EBIT (Earnings Before Interest and Taxes):
Das EBIT ist eine zentrale Kennzahl zur Beurteilung der operativen Ertragskraft eines Unternehmens. Es zeigt, wie profitabel das Unternehmen aus dem Kerngeschäft heraus ist – unabhängig von Finanzierungsstruktur und Steuereffekten. Ein stabiles, wachsendes EBIT ist ein Indikator für ein gesundes Geschäftsmodell.
EBITDA (Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization):
Das EBITDA ist dem EBIT sehr ähnlich, berücksichtigt aber zusätzlich Abschreibungen auf Sachanlagen und immaterielle Vermögenswerte. Es wird oft als Näherungswert für den operativen Cashflow verwendet, da es die Innenfinanzierungskraft und die operative Leistungsfähigkeit eines Unternehmens widerspiegelt – unabhängig von Investitionen, Finanzierung und steuerlichen Effekten. Gerade bei kleineren und mittelständischen Unternehmen ist das EBITDA eine der wichtigsten Kennzahlen im Rahmen von Unternehmensbewertungen und Kaufpreisermittlungen.
Cashflow:
Der operative Cashflow gibt Auskunft darüber, wie viel Geld tatsächlich aus dem laufenden Geschäft generiert wird. Er ist weniger anfällig für bilanzielle Verschönerungen als der Gewinn und zeigt, ob das Unternehmen in der Lage ist, Investitionen, Tilgungen und Ausschüttungen aus eigener Kraft zu stemmen.
Working Capital:
Das Working Capital (Umlaufvermögen minus kurzfristige Verbindlichkeiten) misst die Liquidität und operative Flexibilität. Negatives oder stark schwankendes Working Capital kann auf Liquiditätsengpässe, ineffizientes Forderungsmanagement oder Lagerprobleme hinweisen – allesamt Risikofaktoren, die im Rahmen der Due Diligence besonders kritisch zu hinterfragen sind.
SDE (Seller’s Discretionary Earnings) / Ermessensgewinn des Verkäufers:
Gerade im KMU- und Nachfolgekontext wird häufig der sogenannte SDE (Seller’s Discretionary Earnings, auf Deutsch: Ermessensgewinn des Verkäufers) verwendet. Der SDE stellt den Gewinn dar, der dem Inhaber nach Abzug aller operativen Aufwendungen, aber vor Berücksichtigung seines eigenen Unternehmerlohns, zur freien Verfügung steht. Hier werden häufig auch „persönliche“ oder einmalige Aufwendungen (z. B. private Fahrzeuge, Familienmitglieder auf der Gehaltsliste, außergewöhnliche Spesen) wieder hinzugerechnet. Achten Sie auf bereinigte oder „geschönte“ Positionen – ein zentrales Thema, das auch bei der Investmentthese eine Rolle spielt.
Wichtige Hinweise für Gründer und Käufer:
- Der SDE ist besonders diskussionsanfällig, da er stark von individuellen Gestaltungen und der Transparenz des Verkäufers abhängt.
- Es ist unerlässlich, im Rahmen der Due Diligence genau zu prüfen, welche Aufwendungen tatsächlich wieder hinzugerechnet wurden und wie plausibel diese Anpassungen für die eigene, zukünftige Unternehmensführung sind.
- Oftmals werden im SDE einmalige oder nicht-betriebsnotwendige Kosten „bereinigt“, um das Ergebnis zu erhöhen – hier ist besondere Vorsicht geboten.
- Eine professionelle, unabhängige Analyse sowie ein kritisches Hinterfragen aller SDE-Anpassungen sind dringend zu empfehlen.
Praxis-Tipp:
Ein fundiertes Verständnis der wichtigsten Bilanzkennzahlen – insbesondere EBIT, EBITDA, Cashflow, Working Capital und SDE – ist für Gründer und Käufer essenziell, um Risiken zu erkennen, Chancen realistisch zu bewerten und tragfähige Entscheidungen bei Unternehmenskauf oder -nachfolge zu treffen. Gerade bei SDE und EBITDA gilt: Hinterfragen Sie die Herleitung kritisch und holen Sie bei Unsicherheiten unabhängigen Rat ein.
2. Plausibilisierung von Forecasts
Die Bewertung eines Unternehmens basiert oft auf Zukunftsprognosen – doch Forecasts sind kein Wunschkonzert. Folgende Leitfragen helfen, Aussagen kritisch zu prüfen:
- Ist das Umsatzwachstum realistisch, gemessen an historischen Werten und Markttrends?
- Sind Umsätze einmalig, wiederholend, wiederkehrend? Je nachdem sind unterschiedliche multiples gerechtfertigt
- Sind Kostensteigerungen, Margen und Investitionen nachvollziehbar abgeleitet?
- Welche Annahmen stecken hinter den Prognosen (z. B. neue Produkte, Kunden, Märkte)?
- Gibt es externe Benchmarks oder Branchenvergleiche zur Verifizierung?
- Wie sensitiv ist das Modell gegenüber zentralen Annahmen (Sensitivitätsanalyse)?
Praxis:
Lassen Sie sich Forecasts immer detailliert erläutern und fordern Sie Szenarioanalysen an. Hinterfragen Sie, ob die Annahmen mit der tatsächlichen Entwicklung der letzten Jahre übereinstimmen.
3. Typische Prüfpfade in der Praxis
Die finanzielle Due Diligence folgt in der Regel einer klaren Methodik:
- Analyse der letzten 3–5 Jahresabschlüsse:
Prüfung von Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung sowie Cashflow-Rechnung auf Trends, Einmaleffekte und Unstimmigkeiten. - Abgleich von Buchhaltung und Bankkonto:
Überprüfung, ob ausgewiesene Umsätze und Forderungen tatsächlich eingegangen sind. - Forderungs- und Verbindlichkeitenstruktur:
Analyse der Altersstruktur von Forderungen und Verbindlichkeiten, um Risiken durch Zahlungsausfälle oder überfällige Rechnungen zu erkennen. - Inventarbewertung:
Prüfung, ob Lagerbestände realistisch bewertet und nicht überhöht sind. - Offenlegung von Eventualverbindlichkeiten:
Identifikation von Risiken aus Bürgschaften, schwebenden Verfahren oder nicht bilanzierten Verpflichtungen.
4. Rolle von Wirtschaftsprüfern und Tools
Wirtschaftsprüfer:
Ein erfahrener Wirtschaftsprüfer ist unverzichtbar für eine professionelle, unabhängige Bewertung. Er erkennt Risiken, prüft die Einhaltung von Bilanzierungsstandards und gibt eine objektive Einschätzung der Zahlen. Besonders bei komplexen Strukturen oder internationalen Geschäften ist die Einbindung eines Wirtschaftsprüfers essenziell.
Moderne Tools:
Digitale Due-Diligence-Tools und Datenräume erleichtern die strukturierte Prüfung, ermöglichen automatisierte Analysen und erhöhen die Transparenz. KI-basierte Lösungen unterstützen bei der Mustererkennung, Anomalie-Analyse und Benchmarking. Für die erste Analyse kleinerer Unternehmen können auch spezialisierte Controlling-Tools oder Excel-Modelle sinnvoll sein.
Systematisch zum passenden Zielunternehmen
Investment Thesis entwickeln, KI-gestützt suchen, Off-Market-Deals finden – mit professioneller Begleitung.
Fazit
Die finanzielle Due Diligence ist das Fundament für einen erfolgreichen Unternehmenskauf. Wer Bilanzkennzahlen versteht, Forecasts kritisch prüft und typische Prüfpfade konsequent anwendet, schützt sich vor teuren Fehlern. Die Unterstützung durch erfahrene Wirtschaftsprüfer und der Einsatz moderner Tools sorgen für zusätzliche Sicherheit und Effizienz im Prüfprozess. Wie Sie Unternehmenswerte realistisch berechnen, erfahren Sie in Unternehmensbewertung verstehen. Die rechtliche Prüfung ergänzt die finanzielle Analyse und sorgt für vollständige Absicherung.
Die Checkliste Unternehmenskauf hilft dabei, alle Prüfbereiche strukturiert im Blick zu behalten – von der Bewertung bis zum Closing.